Freitag, 01.09.2017

Gelandet in einer neuen Welt

31.08.2017 und 01.09.2017

 

Der Plan mal eben etwas alleine zu schreiben ist an der unglaublichen Neugier der Kinder hier gescheitert. Es mussten erst einmal sämtliche Programme des Laptops (was nicht viele sind, da er zu den schon etwas betagteren Totschlagmodellen gehört) ausgetestet werden.🙂

Die Neugier ist nicht nur bei den Kindern sehr groß, meine Mitfreiwilllige Franziska und ich wurden sehr freundlich von der ganzen Familie aufgenommen und alle sind sehr bemüht, dass wir uns als Teil der Familie fühlen. Das konnte allerdings nicht den ersten Eindruck abmildern.

Zu jedem, der mich vor Beginn des Dienstes gefragt hat, was ich erwarte, habe ich gesagt, dass man es sich wohl nicht im geringsten vorstellen kann. Und trotzdem dachte ich irgendwie, es mir vorstellen zu können, natürlich hatte ich eine Vorstellung. Diese wurde allerdings vollkommen überrannt von den ganzen Eindrücken. Das allererste, was ich von Kamerun mitbekommen habe, war unglaubliche Stille. Das lag daran, dass ich natürlich wie immer und überall zu spät dran war und es verpeilt habe meine Visadaten auf eine zusätzliche Karte zu schreiben, die man bei einer Kontrolle im Flughafen abgeben sollte. Da ich das dann noch nachgeholt habe, standen Franzi und ich erstmal alleine da. Nicht unbedingt der Anblick, den ich erwartet habe.

Das änderte sich dann in der Gepäckausgabe ganz schnell – überall waren Menschen (was natürlich eigentlich wenig verwunderlich ist in einem Flughafen, aber der Kontrast war doch recht groß). Glücklicherweise war unser ganzes Gepäck da, was laut unserem Betreuer definitiv eher die Ausnahme als Normalität ist. Ehrlich gesagt habe ich erwartet, dass man sofort von allen Seiten an(und be-)gequatscht wird.

Stattdessen habe wir ohne weitere Probleme den Leiter der Einrichtung und seinen Neffen gefunden (abgesehen von der Tatsache, dass unsere Rucksäcke den Boden statt des Gepäckwagen bevorzugten und dies auch sehr deutlich zum Ausdruck brachten). (Diese Worte schreibe ich, während mir ein ca. 9 jähriger Junge vollkommen begeistert und fasziniert in den Haaren rumtatscht). Und natürlich wäre ich nicht Lea, wenn ich nicht irgendetwas dämliches gemacht hätte – das war in diesem Fall die grandiose Idee sämtlichen Shampoovorrat ohne Tüte in den Rucksack an die Seite zu packen. Das Waschmittel kann ich mir jetzt auf jeden Fall sparen.

Aber zurück zu dem Gefühl überrannt zu werden. Nach dem Vorbereitungsseminar habe ich mir sehr viel Mühe gegeben nicht in irgendwelche Vorurteile bzw. Stereotypen abzurutschen. Allerdings hat es mir der Tag der Ankunft nicht leicht gemacht, vielmehr war es ganz genauso wie man sich das ,,typische arme Afrika voller Katastrophen“ vorstellt. Alles war voller Menschen, schon den Autos hat man angesehen, dass man ohne Mut nicht durch den Verkehr kommt (was prompt durch einen Motorradfahrer bestätigt wurde, der uns munter auf der rechten Spur entgegen kam). Und überall Müll, Dreck und rostende, schon längst nicht mehr fahrende Autofracks am Straßenrand.

Das war dann der Moment, wo mich die Frage eingeholt habe, was ich überhaupt hier mache. Warum kann ich nicht einfach studieren und mit meinem Freund in einer kleinen, aber feinen Wohnung mit fließendem Wasser und konstant funktionierender Elektrizität leben? Warum mache ich es mir so schwer und lebe nicht mein einfaches schönes kleines Leben? Stattdessen bin ich mit Franzi für 2 Tage in einer wunderbaren (und ziemlich großen) Familie in Douala, morgen werden wir nach Baham fahren, wo die Einsatzstelle liegt.

Die Wohnung hier ist klein, aber voller Positivität durch die Menschen. Habe ich eigentlich schon die Luft erwähnt? Es fühlt sich gar nicht so heiß an, aber es ist unfassbar schwül. Im Prinzip also eine Sauna, die nicht ganz so heiß ist. Ist natürlich äußerst angenehm, wenn es nicht immer fließendes Wasser gibt (natürlich gerade dann nicht, wenn man wirklich gerne duschen würde) – noch viel unangenehmer ist aber die Tatsache, dass auch das mit der Toilettenspülung nur so semi funktioniert und wir bisher noch nicht rausgefunden haben wie man effektiv mit einem Eimer nachspült. Aber gut, so langsam lerne ich Europa zu schätzen.

Heute habe ich die andere Seite der Medaille kennen gelernt. Wir haben den Tag in Douala verbracht und es war zu viel, um es in Worte zu fassen. Am auffälligsten waren die Gegensätze. Autos, denen ich es definitiv nicht zugetraut habe, dass sie sich überhaupt noch von der Stelle bewegen können, neben riesigen Hummern oder Land Rovern (hier liebe Grüße an Anna-Lena). Glänzende Gebäude aus Glas neben Bretterverschlägen, die wirkten als ob sie jeden Moment in sich zusammen fallen würden.

Die sich mir aufdrängende Frage ,,Wie kann das sein?“ und der noch immer gegenwärtige Gedanke ,,Was zum Teufel mache ich hier?“ hat der Leiter der Einrichtung bei einem Essen in einem kleinen Restaurant beantwortet. Beziehungsweise hat er mich vielmehr sehr berührt mit seinen Gedanken. Ich kann sie leider nicht annähernd so wiedergeben. Aber vor allem drang der Wunsch gehört zu werden durch. Ich habe verstanden, dass ich nicht für meine Selbstverwirklichung hier bin. Auch nicht, um zu helfen. Sondern, um zu sehen. Zu beobachten. Die Ungerechtigkeit, aber auch die Schönheit zu erleben. Die Menschen hier sind durchaus in der Lage hart zu arbeiten, ihrem Land selbst zu helfen. Sie brauchen unsere Hilfe nicht. Aber sie brauchen unser Bewusstsein. Unser Bewusstsein, dass wir nicht alleine sind. Ich möchte mich hier nicht zum Moralapostel aufschwingen, das ist nicht im geringsten meine Intention. Aber ich möchte meine Eindrücke teilen und wenn diese auch nur einen anderen Menschen zum Nachdenken anregen, welche Privilegien wir auf Kosten anderer haben, hat sich der Blog schon gelohnt.

Mich trifft das alles sehr tief und ich bin noch nicht in der Lage das wirklich in Worte zu fassen.