Sonntag, 15.10.2017

Erst oder schon?

Erst oder schon?

Das ist die Frage, die ich mir stelle, wenn ich überlege, dass ich seit fast 7 Wochen hier in Kamerun bin. Ich würde sehr gerne ein Fazit ziehen, aber dazu ist das Erlebte viel zu vielschichtig. Wie immer und überall gibt es Hochs und Tiefs – die Frage aller Fragen ist dann nur, welches überwiegt. Momentan habe ich das Gefühl, dass es sich sehr gut ausgleicht.

Wir leben jetzt seit knapp 4 Wochen direkt im Centre. Das heißt inmitten der Kinder und der älteren Pensionäre. Somit auch inmitten der Geräuschkulisse und natürlich auch inmitten von ihren Bedürfnissen. Wenn jemand im Rollstuhl aufs Klo muss, dann ist das so, egal ob man jetzt eigentlich arbeitet oder nicht.

In der Hinsicht kann ich leider nicht das von mir erwünschte Idealbild erfüllen. Ich würde so gerne eine Person sein, die das durchgehende Zusammenleben genießt. Stattdessen war ich auch in Deutschland schon immer eher ein Mensch, der sehr darauf achtet, genug Zeit für sich selbst zu haben. Das brauche ich hier umso mehr, weil man während des Unterrichts und auch im Laufe des Nachmittags konstant von Menschen umgeben ist, die Nähe. Interesse und Aufmerksamkeit einfordern – was man ihnen natürlich auch gerne gibt. Dabei ist es wie in den meisten Fällen – es ist nicht nur ein Geben, sondern auch ein Nehmen.

 

An der Stelle möchte ich den kleinen Ulli nennen (ich ändere die Namen der Kinder einfach mal, dann kann ich mehr von ihnen erzählen). Ulli kommt immer kuscheln. IMMER. Dabei ist er schon 9 und eigentlich kein Kleinkind mehr. Aber das ist ihm egal, wenn er merkt, dass du gerne kuscheln möchtest, sitzt er in der nächsten Sekunde auf deinem Schoß, verzwirbelt deine Haare oder schläft ganz fest an dich gelehnt ein.

Oder Friedrich. Friedrich liebt sein Leben. Er ist an einen Rollstuhl gebunden und kann diesen aufgrund von Spastiken nicht alleine bewegen. Genauso Schwierigkeiten hat er mit der Sprache, wobei sich im Unterricht rausgestellt hat, dass er mental ziemlich fit ist. Friedrich freut sich darüber, wenn er aufwacht, wenn er aufs Klo geht, wenn er gewaschen wird, wenn er essen darf. Aber das allerhöchste ist für ihn der Unterricht und bei der Aussicht Mandalas malen zu dürfen kippt er vor Freude fast aus dem Rollstuhl. Abends betet er immer ganz inbrünstig, wobei das aufgrund seiner Sprachschwierigkeiten auf ein ,,Merci“ beschränkt ist. Aber mehr braucht es auch gar nicht, dieses Danke sagt alles. Obwohl er körperlich sehr eingeschränkt ist, macht er riesige Fortschritte und hat in kürzester Zeit große Teile des Alphabets schreiben gelernt. Heute ist er zum ersten Mal alleine aus dem Rollstuhl aufgestanden und hat sich in einen anderen Rollstuhl gesetzt – nur mithilfe einer Tischkante. Schon der Gedanke an ihn lässt mir das Herz aufgehen. Ich glaube, dass man von ihm bezüglich der Lebenseinstellung sehr viel lernen kann.

Das Fazit kann ich dank jahrelangem Eintrichtern jetzt doch nicht weglassen, das fühlt sich ziemlich falsch an. 😀

Prinzipiell gewöhnt man sich an alles. Ich hätte niemals gedacht, dass ich mich mit dem Essen soweit anfreunden kann, dass ich nicht mehr hungrig ins Bett gehe – aber tatsächlich funktioniert das inzwischen doch ganz gut. Nicht nur das Essen wird immer mehr zur Routine, sondern auch der Alltag an sich oder die Tatsache, dass nie ausreichend Wasser da ist. Aber zu diesen Themen später mehr.